Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 18.11.2010
LSG Rpf: körperlich behinderter, sozialhilfe, realschule, behinderung, gebrauchsgegenstand, firma, schulpflicht, unterricht, krankenversicherung, auskunft
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
Urteil vom 18.11.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Koblenz S 5 KR 342/09
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 5 KR 23/10
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 14.01.2010 wird mit der Maßgabe
zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, die Kosten für eine zweite Kamera zur Ergänzung des vorhandenen
Bildschirmlesesystems im Rahmen der Eingliederungshilfe zu übernehmen. 2. Die Beklagte hat der Klägerin auch die
außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten. 3.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit der Kamera "Sony EVI-D70" im Rahmen eines vorhandenen
Kameralesesystems.
Bei der 1998 geborenen Klägerin, die bei der Beklagten krankenversichert ist, besteht eine an Blindheit grenzende
hochgradige Sehschwäche. Sie besucht seit Beginn des Schuljahres 2009/2010 die Wschule G ("Realschule plus")
und ist mit einem mobilen Bildschirmlesegerät "Clearnote" der Firma T mit einer schwenkbaren Tafelkamera zur
Darstellung von Tafel und Textbild versorgt. Mit Schreiben vom 10.11.2008 beantragte sie bei dem Beigeladenen die
Gewährung von Eingliederungshilfe zur Finanzierung einer Tafelkamera. Sie legte einen Arztbrief des Augenarztes Dr.
G vom 02.07.2008 vor, in der der Visus mit eigener Brille rechts mit 1/20 und links mit 0,05 angegeben wird. Beigefügt
waren ein Kostenvoranschlag der Firma E GmbH für die "Tafelkamera Sony EVI-D70" zum Preis von 1.299,48 EUR
und ein Angebot für die Installation der Tafelkamera in Höhe von 535,50 EUR sowie ein Kostenvoranschlag der Firma
T für eine "EVI-Kamera Pan Tilt" einschließlich Installation und Grundeinweisung in Höhe von 2.401,42 EUR. Mit
Schreiben vom 19.11.2008 leitete der Beigeladene das Schreiben an die Beklagte weiter und führte aus, nach
Rücksprache mit der Klägerin handele es sich nicht um eine stationäre Tafelkamera. Beantragt werde eine mobile
Kamera mit Schwenk-, Neige- und Zoom-Funktion. Hiermit wäre erst die vollständige Aufzeichnung aller
Unterrichtsmaterialien, z.B. geographischer Karten, Bücher, Zeichnungen, möglich. Diese mobile und schwenkbare
Kamera stelle gegenüber der bereits installierten stationären Tafelkamera ein neues Hilfsmittel dar und falle in den
Leistungskatalog der Beklagten. Auf Grund des Nachranggrundsatzes der Sozialhilfe nach § 2 Zwölftes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB XII) werde der Antrag gemäß § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) weitergeleitet.
Mit Bescheid vom 25.11.2008 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab und wies darauf hin, dass sie der
Klägerin am 08.12.2004 ein Bildschirmlesegerät für zu Hause leihweise bewilligt und sich am 19.10.2005 an den
Kosten einer Tafelkamera analog eines herkömmlichen Bildschirmlesegerätes in Höhe von 2.030,00 EUR für den
Schulbesuch beteiligt habe. Bei dem vorhandenen Clearnote handele es sich um ein mobiles Tafelkamerasystem. Im
Widerspruchsverfahren legte die Klägerin ein Schreiben des Förderschullehrers W Landesschule für Blinde und
Sehbehinderte, vom 06.12.2008 vor, der mitteilte, die Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt noch die Grundschule
besuchte, sei auf starken Kontrast und gute Beleuchtung angewiesen. Das Clearnote sei ausgewählt worden, da es
ausbaufähig für die weiterführende Schule sei. Es beständen Anschlussmöglichkeiten für ein Notebook und für eine
eigene Tafelkamera. Auf dem Notebook lasse sich das Kamerabild darstellen und zur Weiterbearbeitung speichern.
Das Bildschirmlesegerät Clearnote habe eine Schwenkkamera für die abwechselnde Darstellung von Tafel- und
Textbild. Für die Grundschule sei diese Möglichkeit ausreichend. Auch aus Kostengründen sei ein Zweikamerasystem
nicht beantragt worden. Auf Grund der steigenden Textfülle und der zunehmenden Anforderung an die
Arbeitsgeschwindigkeit sei die Klägerin künftig auf die zweite Kamera angewiesen, um dem Unterricht ohne großen
Zeitverlust folgen zu können. Die Sony EVI Kamera habe eine eigene Fernbedienung zur Steuerung von Zoom und
Schwenkrichtung. Die Clearnotekamera lasse sich per Knopfdruck leicht umschalten. Die Beklagte holte eine
sozialmedizinische Stellungnahme bei Dr. F, Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz (MDK)
vom 23.01.2009 ein, der ausführte, wenn das Schulkind eine Sehbehindertensonderschule besuche, sei nicht die
Krankenkasse, sondern der Schulträger leistungspflichtig und habe alle erforderlichen Hilfsmittel zur Verfügung zu
stellen. Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Verbandsgemeinde B mit Schreiben vom 30.03.2009 mit, als Träger
der Grundschule N beteilige sie sich nicht an den Kosten für das beantragte Bildschirmlesegeräte. Sie habe sich
bereits im Jahr 2005 an den Kosten für die Beschaffung eines Bildschirmlesegerätes für die Klägerin mit einem
Kostenbeitrag in Höhe von 826,87 EUR beteiligt. Auch im Hinblick auf den Wechsel der Klägerin zur Wschule G mit
Beginn des Schuljahres 2009/2010 werde keine Veranlassung für ein weiteres finanzielles Engagement gesehen. Mit
Beginn des Schuljahres 2009/2010 werde keine Veranlassung für ein weiteres finanzielles Engagement gesehen. Mit
Widerspruchsbescheid vom 25.06.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus,
die Voraussetzungen des § 33 SGB V seien nicht erfüllt, da es sich bei der Kamera Sony EVI-D70 um einen
allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele.
Hiergegen hat die Klägerin am 23.07.2009 Klage erhoben und geltend gemacht, die Beklagte hätte gemäß § 14 SGB
IX auch prüfen müssen, ob ein Anspruch auf Gewährung der Leistung im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 54
Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 92 Abs. 2 Nr. 12 (Hilfe zur angemessenen Schulbildung) SGB XII bestehe. Durch Urteil vom
14.01.2010 hat das Sozialgericht Koblenz die Beklagte verurteilt, die Klägerin mit einem Bildschirmlesegerät Sony
EVI-D70 als Tafelkamera zu versorgen. Zur Begründung hat es ausgeführt, bei der beantragten Tafelkamera handele
sich um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB V, das in die Leistungspflicht der Beklagten falle. Die Klägerin,
die die Regelschule (Realschule) besuche, bedürfe, um dem Unterricht folgen zu können, des bereits vorhandenen
Bildschirmlesegerätes. Dieses sei aber nicht ausreichend, um den Behinderungsausgleich im Bereich des
Grundbedürfnisses zu erzielen und ihr den Erwerb grundlegenden Schulwissens zu ermöglichen. Hierfür bedürfe es
der Ausrüstung des Bildschirmlesegeräts mit einer zweiten Kamera, wie die Klägerin für das Gericht überzeugend
dargelegt habe. Sinn dieser Hilfsmittelversorgung sei es, das dann vorhandene Bildschirmlesegerät mit einer Kamera
auf den Arbeitsplatz auszurichten und mit der zweiten Kamera das Geschriebene an der Schultafel zu erfassen und
über das Bildschirmlesegerät in einer für die Klägerin geeigneten Form auszugeben. Es sei für das Gericht
nachvollziehbar, dass das Umschalten zwischen dem Lesebereich auf dem Arbeitsplatz und der Tafel mit dem jeweils
erforderlichen Einjustieren der Kamera zu lange dauere und die Klägerin dadurch gehindert sei, in dem erforderlichen
Maße dem Unterricht zu folgen. Bei der begehrten Kamera handele es sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des
täglichen Lebens. Die Klägerin begehre die Kamera nicht als isoliertes Hilfsmittel, sondern als zweite Kamera im
Rahmen des vorhandenen Kameralesesystems. Bei der Beurteilung der Hilfsmitteleigenschaft sei auf das
Bildschirmlesegerät mit zwei Kameras abzustellen, nicht aber auf die jeweils einzelne Kamera, die Bestandteil des
Systems sei.
Hiergegen hat die Beklagte am 11.02.2010 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, bei der beantragten Kamera
handele es sich um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Sie sei weder speziell für Kranke
und Behinderte konstruiert worden noch werde sie ganz überwiegend von diesem Personenkreis benutzt. Es handele
sich um eine Webcam, die von jedermann für Bildschirmkonferenzen, Video-Chats oder beliebige sonstige Zwecke
verwendet werden könne, die eine Bildübertragung per Internet oder Intranet erforderten. Ob die Klägerin nach den für
die Eingliederungshilfe des Sozialhilfeträgers geltenden Bestimmungen einen Rechtsanspruch auf die beantragte
Kamera habe, könne sie, die Beklagte, nicht beurteilen.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 14.01.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und macht geltend, die Hilfsmittelerweiterung sei erforderlich, um ihr die
Teilnahme am Schulunterricht im Rahmen der Erfüllung der Schulpflicht zu ermöglichen. Nur auf Grund der Tatsache,
dass sie aktuell ein provisorisches Leihgerät nutzen könne, das aber technisch nicht mehr in einem einwandfreien und
ausreichend funktionstauglichen Zustand sei, sei die Teilnahme am Schulunterricht überhaupt noch möglich. Wenn
eine "materiell-rechtliche" Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers bestehen würde, sei es der Beklagten ohne Weiteres
zuzumuten, ihre Ansprüche gegenüber dem Sozialhilfeträger in einem eigenen Erstattungsstreitverfahren geltend zu
machen. Leistungen im Rahmen der Hilfe zur angemessenen Schulbildung oder der medizinischen Rehabilitation
seien gemäß § 92 Abs. 2 Nummern 2 und 5 SGB XII unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen
zu erbringen.
Der Beigeladene macht geltend, Leistungen der Sozialhilfe seien gemäß § 2 SGB XII gegenüber allen sonstigen
Ansprüchen nachrangig. Nach § 74 Abs. 3 des Schulgesetzes Rheinland-Pfalz (SchulG) stelle der kommunale
Schulträger neben dem Verwaltungs- und Hilfspersonal den Sachbedarf der Schule bereit und trage die hiermit
verbundenen Kosten. Nach § 75 Abs. 2 Nr. 8 SchulG seien die Kosten für die Beschaffung und laufende Unterhaltung
des für sonderpädagogische Maßnahmen erforderlichen besonderen Sachbedarfs vom kommunalen Schulträger zu
übernehmen.
Der Senat hat eine Auskunft bei der Firma E GmbH vom 10.05.2010 eingeholt. Diese hat mitgeteilt, die Kamera sei
von Sony für Anwendungen außerhalb des Behindertenbereichs entwickelt worden. Für die Klägerin bringe der Einsatz
der Fernkamera in Verbindung mit dem vorhandenen System eine deutliche Erleichterung und einen
Geschwindigkeitsgewinn zur Erfüllung der Aufgaben in einer Regelschule (Bl. 89 f PA). Der Schulleiter der Wschule,
Realschule plus, G Integrative Realschule, hat auf Anfrage mit Schreiben vom 07.09.2010 mitgeteilt, die von der
Klägerin begehrte Kamera könne nicht seitens der Schule vorgehalten werden, da mit der Anschaffung 50 % des
Budgets erschöpft wären.
Der Senat hat die Klägerin persönlich angehört sowie die Lehrerin G B und den Förderschullehrer H W als Zeugen
vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der
Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf
Übernahme der Kosten für eine zweite Kamera zur Ergänzung des vorhandenen Bildschirmlesesystem. Zwar steht ihr
kein Anspruch auf Gewährung der beantragten Kamera gemäß §§ 27 Abs. 1 Nr. 3, 33 Abs. 1 SGB V zu, sie hat
jedoch einen Anspruch im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII (Hilfe zu einer
angemessenen Schulbildung). Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit
Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den
Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung
auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen
oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Für die Abgrenzung zum allgemeinen Gebrauchsgegenstand des
täglichen Lebens kommt es darauf an, ob das Mittel spezifisch der Bekämpfung einer Krankheit oder dem Ausgleich
einer Behinderung dient. Gegenstände, die regelmäßig auch von Gesunden benutzt werden, fallen nicht in die
Leistungspflicht der Krankenversicherung. Zur Ermittlung der Eigenschaft als Hilfsmittel der Krankenversicherung ist
danach allein auf die Zweckbestimmung des Gegenstandes abzustellen, die einerseits aus der Sicht der Hersteller,
andererseits aus der Sicht der tatsächlichen Benutzer zu bestimmen ist. Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse
kranker oder behinderter Menschen entwickelt sowie hergestellt worden sind und die ausschließlich oder ganz
überwiegend auch von diesem Personenkreis benutzt werden, sind nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des
täglichen Lebens anzusehen (Urteil des erkennenden Senats vom 18.02.2010 L 5 KR 146/09, juris, Rdnr. 14 m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben ist die begehrte Kamera als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens zu
qualifizieren. Wie sich aus der Auskunft der Firma E GmbH vom 10.05.2010 ergibt, wurde die Kamera nicht für die
speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt. Sie wird auch nicht überwiegend von
Behinderten genutzt. Der Umstand, dass die Klägerin die Kamera in Verbindung mit dem vorhandenen
Kameralesesystem nutzt, rechtfertigt nicht die Einstufung als Hilfsmittel. Ein Anspruch nach § 33 Abs. 1 SGB V
scheidet daher aus.
Gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1
SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen
wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und so lange nach der Besonderheit
des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der
Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin unstreitig erfüllt. Gemäß § 54
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41
und 55 SGB IX insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen
Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über
die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt. Gemäß § 12 Nr. 2 der
Eingliederungshilfeverordnung (EinglHV) umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung auch Maßnahmen zu
Gunsten körperlich behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem
behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern.
Die Hilfe darf nur dann gewährt werden, wenn die Fähigkeiten und Leistungen des Behinderten erwarten lassen, dass
er das Bildungsziel erreichen wird (vgl. im Einzelnen Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Auflage 2008, §
54 Rdnr. 21 m.w.N.). Zwar wird ein Mittel wie die begehrte Kamera nicht in § 12 EinglHV ausdrücklich genannt, im
vorliegenden Fall ist die Kamera aber erforderlich, damit die Klägerin eine angemessene Schulbildung erreichen kann.
Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung demonstriert hat, verliert sie bei Verwendung der vorhandenen
Kamera durch ständiges Wechseln der Einstellung und Suchen des Textes im Schulunterricht zu viel Zeit. Durch den
Einsatz der beantragten zweiten Kamera hat sie die Möglichkeit, das vorhandene Bildschirmlesesystem mit einer
Kamera auf den Arbeitsplatz auszurichten und mit der zweiten Kamera den an der Schultafel geschriebenen Text zu
erfassen. Die Zeugin G B , die die Klägerin unterrichtet, hat glaubhaft dargelegt, dass die zweite Kamera als
Tafelkamera für die Klägerin notwendig ist, um den Anschluss im Unterricht nicht zu verpassen. Sie hat darauf
hingewiesen, dass die Klägerin das einzige beeinträchtigte Kind in der Klasse ist und es sich bei der Wschule um eine
Regelschule handelt. Schließlich hat auch der Zeuge W, der als Förderschullehrer für die Betreuung von
Sehbehinderten an Regelschulen zuständig ist, eingehend und überzeugend dargelegt, dass das vorhandene
Bildschirmlesegerät Clearnote für den Schulunterricht der Klägerin in der Realschule nicht ausreichend ist. Danach
bestehen keine Zweifel daran, dass die beantragte zweite Kamera als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung
notwendig ist.
Bei der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung einschließlich der Vorbereitung hierzu ist gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1
SGB XII den in § 19 Abs. 3 genannten Personen die Aufbringung der Mittel nur für die Kosten des Lebensunterhalts
zuzumuten. Die Leistung ist nach Satz 2 ohne Berücksichtigung von vorhandenem Vermögen zu erbringen.
Einem Anspruch steht auch nicht der Grundsatz der Nachrangs der Sozialhilfe entgegen. Gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII
Einem Anspruch steht auch nicht der Grundsatz der Nachrangs der Sozialhilfe entgegen. Gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII
erhält Sozialhilfe nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines
Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen und
von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Nach Abs. 2 bleiben Verpflichtungen anderer, insbesondere
Unterhaltspflichtiger oder der Träger anderer Sozialleistungen, unberührt. Auf Rechtsvorschriften beruhende
Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach dem Recht der Sozialhilfe entsprechende
Leistungen vorgesehen sind. Vorliegend erhält die Klägerin die erforderliche Hilfe nicht von anderen; sie kann sich
auch nicht selbst helfen. Entgegen der Auffassung des Beigeladenen kann die Klägerin auch nicht auf einen Anspruch
gegen den Schulträger verwiesen werden. Nach § 74 Abs. 3 SchulG stellt der kommunale Schulträger, soweit dieses
Gesetz nichts Anderes bestimmt, u. a. den Sachbedarf der Schule bereit und trägt die hiermit verbundenen Kosten.
Nach § 75 Abs. 2 Nr. 8 SchulG sind Kosten nach § 74 Abs. 3 SchulG insbesondere die Aufwendungen für die
Beschaffung und laufende Unterhaltung des für sonderpädagogische Maßnahmen erforderlichen besonderen
Sachbedarfs (z. B. integrierte Fördermaßnahmen). Hieraus ergibt sich kein Anspruch der Klägerin gegen den Träger
der Regelschule, die die Klägerin zwischenzeitlich besucht, auf Bereitstellung der begehrten Kamera. Soweit die
Beklagte in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass die Schule sich in ihrem Briefkopf als
"Integrative Realschule" bezeichnet, ist klarzustellen, dass sich dieser Begriff vorliegend nicht auf die Integration
behinderter Schüler bezieht (vgl. auch § 10a SchulG). Unabhängig davon, dass ein Anspruch der Klägerin gegen den
Schulträger nicht besteht, ist anzumerken, dass dieser wie sich aus der Auskunft der Schule vom 07.09.2010 ergibt
eine zweite Kamera tatsächlich nicht zur Verfügung stellt (vgl. hierzu BVerwG 02.09.2003 5 B 259/02, juris Rn. 14).
Nach alledem greift der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe entgegen der Auffassung des Beigeladenen nicht
ein, die Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe sind erfüllt. Die Auswahl zwischen verschiedenen
geeigneten Systemen bleibt dem Leistungsträger überlassen.
Gemäß § 14 SGB IX ist zunächst die Beklagte zur Gewährung der Leistung zuständig. Der Beigeladene, bei dem die
Klägerin den Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfe gestellt hatte, hat den Antrag gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 und
2 SGB IX fristgemäß an die Beklagte weitergeleitet. Durch die Weiterleitung des Antrags wurde die (vorläufige)
gesetzliche Zuständigkeit der Beklagten begründet. Im Verhältnis zur Klägerin ist die Beklagte als zweitangegangene
Rehabilitationsträgerin endgültig zuständig (vgl. z. B. BSG 20.10.2009 - B 5 R 5/07 R, juris, Rn. 15 m. w. N.). Die
Beklagte hat gemäß § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX die Möglichkeit, einen Erstattungsanspruch gegen den "eigentlich"
zuständigen Beigeladenen geltend zu machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.