Urteil des BGH vom 15.11.2006
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNIS-
URTEIL
IV ZR 122/05
Verkündet
am:
15.
November
2006
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als
Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
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BGB §§ 126, 368; ZPO §§ 416, 440 Abs. 2
Wird eine Erklärung mit einem Handzeichen unterschrieben, das nur einen Buchsta-
ben verdeutlicht, oder mit einer Buchstabenfolge, die erkennbar als bewusste und
gewollte Namensabkürzung erscheint, liegt keine Namensunterschrift im Rechtssinne
vor (st. Rspr. vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2005 - VIII ZB 105/04 - NJW
2005, 3775 unter II 2 a und b).
Auf derartige Paraphen können die Vermutung des § 440 Abs. 2 ZPO und die Be-
weisregel des § 416 ZPO nicht gestützt werden; sie genügen auch den Anforderun-
gen an eine Quittung im Sinne des § 368 Satz 1 BGB nicht.
BGH, Versäumnisurteil vom 15. November 2006 - IV ZR 122/05 - OLG Köln
LG Köln
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richter
Seiffert, Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und Dr. Franke auf die mündliche
Verhandlung vom 15. November 2006
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zi-
vilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 26. April
2005 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Ent-
scheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfah-
rens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger fordert die Rückzahlung einer Reihe von Darlehen, die
er der Beklagten seit 1983 gewährt hatte. Die Beklagte verteidigt sich
u.a. damit, sie habe alle Schulden getilgt, wie sich aus drei Quittungen
ergebe, die der Kläger unterschrieben habe.
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Die
Quittungen
befinden sich auf den Rückseiten von Papierstü-
cken, die von einem Wechselformular abgeschnitten worden sind. Dort
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ist handschriftlich jeweils der Betrag mit kurzen Erläuterungen angege-
ben. Dann folgen die Worte: "Betrag erhalten" sowie teilweise ein Aus-
stellungsdatum. Die Beklagte hat eingeräumt, dass der Text insoweit von
der Hand ihres Geschäftsführers stammt. Darunter befinden sich Schrift-
zeichen, die als "H.Bl." oder "H. Bla" gelesen werden können. "H." ist die
Initiale des Vornamens des Klägers; "Bla" sind die ersten drei Buchsta-
ben seines Nachnamens, der aus insgesamt neun Buchstaben besteht.
Die Parteien haben diese Schriftzeichen als Paraphe, aber auch
als Unterschrift bezeichnet. Der Kläger bestreitet die behaupteten Zah-
lungen. Er hat bei seiner Vernehmung als Partei vor dem Landgericht
eingeräumt, dass die Schriftzeichen unter den vorgelegten Quittungen
seiner Unterschrift sehr ähnlich seien; sie könnten von ihm stammen. Si-
cher sei er sich jedoch, dass der Text der Quittungen im Übrigen nicht
von ihm herrühre.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; die Berufung des Klä-
gers ist zurückgewiesen worden. Mit der Revision verfolgt der Kläger
seine Ansprüche weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Berufungsur-
teils und zur Zurückverweisung der Sache.
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1. Das Berufungsgericht hat ein bereits in erster Instanz eingehol-
tes Schriftgutachten in Betracht gezogen, wonach der Kläger nicht als
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Urheber der Schriftzeichen unter den Quittungen ausgeschlossen wer-
den könne. Weiter hat es die Äußerungen des Klägers zur Echtheit die-
ser Schriftzeichen gewürdigt. Er hat auf Vorhalt die Echtheit anderer
Quittungsvermerke, die über geringere Schuldbeträge in früherer Zeit auf
Wechselrückseiten erteilt und mit ähnlichen Schriftzeichen unterzeichnet
worden sind, eingeräumt. Danach ist das Berufungsgericht von der Echt-
heit der Schriftzeichen auch unter den hier streitigen Quittungen ausge-
gangen.
Deshalb müsse der Kläger nach § 440 Abs. 2 ZPO beweisen, dass
der über seiner Unterschrift stehende Text ihm nicht zuzurechnen sei
(etwa wegen eines Blankettmissbrauchs, vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai
1989 - III ZR 2/88 - NJW-RR 1989, 1323 unter II 2). Diesen Beweis hat
das Berufungsgericht nicht als geführt angesehen, weil sich auf einer der
drei Quittungen der unterste Teil des Buchstabens "g" des Wortes "Be-
trag" mit dem obersten Teil der Initiale des Vornamens ("H.") über-
schneidet und der vom Berufungsgericht herangezogene Sachverständi-
ge B. eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit dafür festgestellt habe,
dass die Unterschrift erst nach Eintragung des Wortes "Betrag" geleistet
worden sei.
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2. Soweit das Berufungsgericht - ungeachtet der Beweislast der
Beklagten für ihre Behauptung, die streitigen Quittungen seien vom Klä-
ger unterzeichnet worden, - zu der Überzeugung gelangt ist, die unter
dem jeweiligen Quittungstext stehenden Schriftzeichen stammten vom
Kläger, ist die tatrichterliche Würdigung rechtsfehlerfrei. Zwar hat das
dazu in erster Instanz eingeholte Gutachten nicht mehr erbracht, als
dass ein solches Ergebnis aufgrund der vorgenommenen Schriftverglei-
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che jedenfalls nicht auszuschließen sei. Der Kläger hat aber eingeräumt,
dass die streitigen Schriftzeichen von ihm selbst stammen könnten, weil
sie seinen eigenen Schriftzügen sehr ähnlich seien. Er hat vor dem Beru-
fungsgericht ersichtlich ähnliche Schriftzüge auch als von ihm herrüh-
rend anerkannt. Das konnte dem Tatrichter mangels weiterer Anhalts-
punkte hier genügen, um auf der Grundlage von § 286 ZPO zu der Fest-
stellung der Urheberschaft des Klägers zu gelangen.
3. Die Revision rügt jedoch mit Recht, dass die Vermutung des
§ 440 Abs. 2 ZPO eine Namensunterschrift voraussetzt, an der es hier
fehlt. Damit kann die Beweisregel des § 416 ZPO nicht eingreifen (vgl.
BGHZ 104, 172, 175 f.). Mangels Namensunterschrift liegt auch keine
Quittung im Sinne von § 368 BGB vor (BGH, Urteil vom 28. September
1987 - II ZR 35/87 - NJW-RR 1988, 881).
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a) Eine Unterschrift setzt ein aus Buchstaben einer üblichen Schrift
bestehendes Gebilde voraus, das nicht lesbar zu sein braucht. Erforder-
lich, aber auch genügend ist das Vorliegen eines die Identität des Unter-
schreibenden ausreichend kennzeichnenden individuellen Schriftzuges,
der einmalig ist, entsprechende charakteristische Merkmale aufweist,
sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht einer vollen
Unterschriftsleistung erkennen lässt. Handzeichen, die allenfalls einen
Buchstaben verdeutlichen, sowie Unterzeichnungen mit einer Buchsta-
benfolge, die erkennbar als bewusste und gewollte Namensabkürzung
erscheint, stellen demgegenüber keine formgültige Unterschrift dar. Ob
ein Schriftzeichen eine Unterschrift oder lediglich eine Abkürzung (Hand-
zeichen, Paraphe) darstellt, beurteilt sich nach dem äußeren Erschei-
nungsbild. Dabei ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, sofern die Au-
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torenschaft gesichert ist (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 22. Oktober
1993 - V ZR 112/92 - NJW 1994, 55; vom 10. Juli 1997 - IX ZR 24/97 -
NJW 1997, 3380 unter II 1 und 2 a; Beschluss vom 27. September 2005
- VIII ZB 105/04 - NJW 2005, 3775 unter II 2 a und b; MünchKomm-BGB/
Einsele, 5. Aufl. § 126 Rdn. 17 m.w.N.).
b) Bei den hier zu beurteilenden Schriftzeichen handelt es sich in-
dessen nicht um eine Namensunterschrift, wie sie § 440 Abs. 2 ZPO vor-
aussetzt. Selbst wenn man insoweit einen großzügigen Maßstab anlegt,
ist nicht zu verkennen, dass der Kläger nur die ersten zwei oder drei
Buchstaben seines aus insgesamt neun Buchstaben bestehenden Nach-
namens geschrieben hat. Er hat nicht seinen vollen Namen, wie er ihn
etwa für seine Unterschrift als Aussteller von Wechseln, Vertragspartner
von Darlehensvereinbarungen mit der Beklagten oder einer Abtretungs-
vereinbarung mit seinem Bruder verwendet hat, unter die streitigen Quit-
tungen gesetzt. Aus dem äußeren Erscheinungsbild wird vielmehr deut-
lich, dass die hier in Rede stehenden Schriftzeichen vom Kläger nicht als
volle Unterschrift gemeint waren, sondern als eine bewusste und gewoll-
te Namensabkürzung. Das ist auch dem Berufungsgericht nicht entgan-
gen. Es spricht im Hinblick auf die zu beurteilenden Schriftzeichen von
einer "Unterschrift bzw. Paraphe", hat aber (ebenso wie die Parteien in
den Vorinstanzen) übersehen, dass insoweit im Hinblick auf § 440 Abs. 2
ZPO ein rechtlich erheblicher Unterschied besteht, und nennt die Schrift-
zeichen deshalb im Weiteren stets Unterschrift.
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4. Mithin kann rechtlich nicht von einer Vermutung dafür ausge-
gangen werden, dass der Text über den Paraphen mit dem Willen des
Klägers dorthin gesetzt worden sei. Dies ist vielmehr von der Beklagten
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zu beweisen, die sich auf Erfüllung (§ 362 BGB) beruft. Sie hat nicht vor-
getragen, dass ihr Geschäftsführer etwa ein Blankett des Klägers verein-
barungsgemäß ergänzt hätte. Vielmehr ist ihr Vortrag dahin zu verste-
hen, dass der Kläger den schon geschriebenen Quittungstext nach
Vorlage unterzeichnet habe.
a) Ein wesentliches Indiz für diese Behauptung der Beklagten wür-
de sich ergeben, wenn feststünde, dass die Paraphe später geschrieben
worden ist als das darüber stehende Wort "Betrag". Die Schriftzeichen
überschneiden sich allerdings nur bei einer der drei streitigen Quittun-
gen. Auch insoweit würde die bisher vom Berufungsgericht für eine spä-
tere Unterzeichnung des schon vorhandenen Quittungstextes angenom-
mene "sehr hohe Wahrscheinlichkeit" nicht ausreichen. Vielmehr muss
der Tatrichter die volle Überzeugung von der Wahrheit der behaupteten
Tatsache gewonnen haben, darf und muss sich allerdings mit einem für
das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der
Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (st. Rspr.,
BGHZ 53, 245, 255 f.; Urteile vom 14. Januar 1993 - IX ZR 238/91 - NJW
1993, 935 unter B II 3 a; vom 4. November 2003 - VI ZR 28/03 - NJW
2004, 777 unter II 1 c). Außerdem rügt die Revision mit Recht, dass aus
dem Urteil des Berufungsgerichts nicht verständlich wird, weshalb es die
Gutachten, die zum gegenteiligen Ergebnis gelangt sind, insbesondere
das vom Kläger vorgelegte Privatgutachten, nicht für beweiskräftig hält.
Insoweit verweist das Berufungsgericht lediglich auf die Ausführungen
des Sachverständigen, dem es gefolgt ist, zitiert daraus zwei Sätze in
indirekter Rede, vermeidet aber eine abschließende, eigene Stellung-
nahme. Widersprechen sich - wie hier - die vom Gericht eingeholten
Gutachten untereinander und im Hinblick auf ein von den Parteien vorge-
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legtes Gutachten, darf der Tatrichter den Streit der Sachverständigen
nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch
nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (st.
Rspr., vgl. Senatsurteil vom 22. September 2004 - IV ZR 200/03 - VersR
2005, 676 unter II 2 b aa m.w.N.).
b) Selbst wenn eine Quittung im Sinne von § 368 BGB vorläge, wä-
re diese lediglich ein Indiz für die Zahlung; ob die Forderung tatsächlich
erfüllt ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung des Tatrichters. Die
Quittung kann durch jeden Gegenbeweis entkräftet werden, der bereits
dann geglückt ist, wenn die Überzeugung des Gerichts von der zu be-
weisenden Tatsache erschüttert wird; dass sie als unwahr erwiesen wird
oder sich auch nur eine zwingende Schlussfolgerung gegen sie ergibt, ist
nicht nötig (BGH, Urteil vom 28. September 1987 aaO). Das gilt erst
recht in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem schon mangels Na-
mensunterschrift nicht von einer Quittung im Rechtssinne ausgegangen
werden kann. Mit dem weiteren Vortrag der Parteien (etwa zu den Um-
ständen der angeblichen Zahlungen und zur bestrittenen Zahlungsfähig-
keit der Beklagten) hat sich das Berufungsgericht aber nicht auseinander
gesetzt und ist auch den von beiden Parteien für und gegen die behaup-
tete Zahlung angebotenen Beweismitteln nicht nachgegangen.
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Das wird das Berufungsgericht nachzuholen haben. Möglicherwei-
se wird es noch auf weiteren Streitstoff ankommen (u.a. zur Schlüssig-
keit der Klageforderungen sowie zur Verjährung).
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Seiffert Dr. Schlichting Wendt
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 16.02.1994 - 27 O 249/92 -
OLG Köln, Entscheidung vom 26.04.2005 - 9 U 285/94 -