Urteil des BAG vom 26.03.2015

Kündigung - Mutterschutz - Diskriminierung

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 26. März 2015
Zweiter Senat
- 2 AZR 237/14 -
ECLI:DE:BAG:2015:260315.U.2AZR237.14.0
I. Arbeitsgericht Leipzig
Urteil vom 21. Juni 2013
- 9 Ca 600/13 -
II. Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil vom 7. März 2014
- 3 Sa 502/13 -
Für die Amtliche Sammlung: Ja
Entscheidungsstichworte:
Kündigung - Mutterschutz - Diskriminierung
Bestimmungen:
MuSchG § 9 Abs. 1, § 5 Abs. 2; AGG §§ 1, 2 Abs. 1 und Abs. 4, §§ 3, 7
Abs. 1, § 22; RL 92/85/EWG Art. 10 Nr. 1; ESchG § 9 Nr. 4; StGB § 218;
BGB §§ 134, 242; ZPO §§ 559, 286 Abs. 1
Leitsätze:
1. Im Fall einer Schwangerschaft aufgrund einer Befruchtung außerhalb
des Körpers (In-vitro-Fertilisation) greift das Kündigungsverbot des § 9
Abs. 1 Satz 1 MuSchG ab dem Zeitpunkt der Einsetzung einer befruchte-
ten Eizelle in die Gebärmutter (Embryonentransfer).
2. Eine außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG ausgesprochene
Kündigung ist gemäß § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG nichtig,
wenn sie wegen der - beabsichtigten - Durchführung einer In-vitro-
Fertilisation und der damit einhergehenden Möglichkeit einer Schwanger-
schaft erklärt wird.
ECLI:DE:BAG:2015:260315.U.2AZR237.14.0
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BUNDESARBEITSGERICHT
2 AZR 237/14
3 Sa 502/13
Sächsisches
Landesarbeitsgericht
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
26. März 2015
URTEIL
Schmidt, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Beklagter, Berufungskläger und Revisionskläger,
pp.
Klägerin, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte,
hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ver-
handlung vom 29. Januar 2015 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesar-
beitsgericht Kreft, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Rachor, den Richter
am Bundesarbeitsgericht Dr. Niemann sowie den ehrenamtlichen Richter Söller
und die ehrenamtliche Richterin Schipp für Recht erkannt:
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2 AZR 237/14
ECLI:DE:BAG:2015:260315.U.2AZR237.14.0
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Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sächsi-
schen Landesarbeitsgerichts vom 7. März 2014 - 3 Sa
502/13 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündi-
gung.
Die 1975 geborene Klägerin war bei dem Beklagten, der mit insgesamt
zwei Arbeitnehmern eine Versicherungsvertretung betreibt, seit Februar 2012
als Büroleiterin beschäftigt. Der Beklagte äußerte sich regelmäßig positiv über
die Arbeitsleistung der Klägerin. Verwarnungen oder Abmahnungen erteilte er
ihr nicht.
Am 14. oder 15. Januar 2013 eröffnete die Klägerin dem Beklagten in
einem persönlichen Gespräch, dass sie seit mehreren Jahren einen bisher un-
erfüllten Kinderwunsch hege und ein erneuter Versuch einer künstlichen Be-
fruchtung anstehe.
Mit Schreiben vom 31. Januar 2013, der Klägerin am selben Tag zuge-
gangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 1. März
2013 und stellte die Klägerin von der Arbeitsleistung frei. In der Folge besetzte
er ihre Stelle mit einer älteren Arbeitnehmerin.
Am 7. Februar 2013 wurde bei der Klägerin eine Frühschwangerschaft
festgestellt. Unter dem 13. Februar 2013 teilte sie dies dem Beklagten mit. Der
Mutterpass der Klägerin und ein ärztliches Schreiben vom 16. Mai 2013 benen-
nen als Datum des sog. Embryonentransfers im Rahmen einer künstlichen Be-
fruchtung den 24. Januar 2013. Am 1. Oktober 2013 wurde die Tochter der Klä-
gerin geboren
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Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin sich rechtzeitig gegen die
Kündigung gewandt. Sie hat vorgebracht, bei deren Zugang sei sie bereits
schwanger gewesen. Zudem stelle die Kündigung eine Diskriminierung wegen
ihres Geschlechts dar. Sie sei wegen ihrer Ankündigung, sich künstlich befruch-
ten zu lassen, erklärt worden.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien
durch die Kündigung des Beklagten vom 31. Januar 2013
nicht aufgelöst worden ist.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat gemeint, die
Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie bei Zugang der Kündigung bereits
schwanger gewesen sei. Die von ihr vorgelegten Bescheinigungen seien wider-
sprüchlich. Ihnen könne nicht entnommen werden, dass der Embryonentransfer
am 24. Januar 2013 stattgefunden habe. Im Übrigen komme es für den Beginn
der Schwangerschaft auf den Zeitpunkt der Einnistung an. Die Kündigung habe
er allein deshalb erklärt, weil er mit der Arbeitsleistung der Klägerin nicht zufrie-
den gewesen sei.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit seiner Revision
begehrt der Beklagte weiterhin deren Abweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung ist gemäß § 134 BGB un-
wirksam. Sie verstößt sowohl gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG (A.) als auch
gegen § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG (B.).
A.
Die Klägerin genoss bei Zugang der Kündigung den besonderen Schutz
aus § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG.
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I.
Nach dieser Vorschrift ist eine ohne behördliche Zustimmung
ausgesprochene Kündigung gegenüber einer Frau während
der Schwangerschaft unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung
die Schwangerschaft bekannt war oder sie ihm innerhalb zweier Wochen nach
Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.
II.
Zwischen den Parteien bestand ein Arbeitsverhältnis gemäß § 1 Nr. 1
MuSchG. Die Klägerin hat dem Beklagten die Schwangerschaft jedenfalls bin-
nen zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt. Eine behördliche
Zustimmung lag nicht vor.
III.
Die Klägerin war bei Zugang der Kündigung schwanger. Im Fall einer
Schwangerschaft aufgrund einer Befruchtung außerhalb des Körpers (In-vitro-
Fertilisation) beginnt der besondere Kündigungsschutz mit der Einsetzung der
befruchteten Eizelle in die Gebärmutter (Embryonentransfer) und nicht erst mit
ihrer Einnistung (Nidation).
1.
In der Humanmedizin bezeichnet Schwangerschaft den Zustand der
Frau von der Konzeption (dh. von dem zur Befruchtung führenden Verkehr)
bis
zur Geburt
. Die Schwangerschaftsdauer wird entweder post
menstruationem (dh. vom ersten Tag der letzten Menstruation bis zum Tag der
Geburt) mit durchschnittlich 280 Tagen oder post conceptionem (dh. von der
Konzeption bis zum Tag der Geburt) mit durchschnittlich 263 bis 273 Tagen
berechnet
. Die Berechnung hängt unter anderem davon ab, ob auf den körperli-
chen Zustand der Frau oder auf den Beginn des Lebens abgestellt wird
.
2.
Bei natürlicher Empfängnis wird der Beginn des Kündigungsverbots aus
§ 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in entsprechender Anwendung von § 5 Abs. 2 Satz 1
MuSchG in der Weise bestimmt, dass von dem ärztlich festgestellten mutmaßli-
chen Tag der Entbindung um 280 Tage zurückgerechnet wird
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. Dieser Zeitraum umfasst die mittlere
Schwangerschaftsdauer, die bei einem durchschnittlichen Menstruationszyklus
zehn Lunarmonate zu je 28 Tagen - gerechnet vom ersten Tag der letzten Re-
gelblutung an - beträgt. Er markiert die äußerste zeitliche Grenze, innerhalb
derer bei normalem Zyklus eine Schwangerschaft vorliegen kann. Damit wer-
den auch Tage einbezogen, in denen das Vorliegen einer Schwangerschaft e-
her unwahrscheinlich ist.
Entgegen kritischen Stimmen in der Literatur
lässt der Senat dabei nicht einen An-
scheinsbeweis zugunsten der Arbeitnehmerin eingreifen. Vielmehr verzichtet er
bewusst auf eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, um zu gewährleisten, dass jede
tatsächlich Schwangere den Schutz des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in Anspruch
nehmen kann. Da sich - sofern nicht ausnahmsweise der Tag der Konzeption
zweifelsfrei feststeht - Fehler und Ungenauigkeiten nicht vermeiden lassen, ist
es gerechtfertigt, zunächst von der der Arbeitnehmerin günstigsten Berech-
nungsmethode auszugehen. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert einer ärztli-
chen Bescheinigung über den mutmaßlichen Entbindungstermin erschüttern,
indem er Umstände darlegt und beweist, aufgrund derer es wissenschaftlich
gesicherter Erkenntnis widerspräche, vom Beginn der Schwangerschaft vor
Kündigungszugang auszugehen. Die Arbeitnehmerin muss dann weiteren Be-
weis führen und ist gegebenenfalls gehalten, ihre Ärzte von der Schweigepflicht
zu entbinden
. Werden im Verlauf der Schwangerschaft genauere Erkenntnis-
se über den Zeitpunkt ihres Beginns gewonnen, kann zudem eine korrigierte
Bescheinigung erstellt werden
.
3.
Bei einer Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation beginnt
der besondere Kündigungsschutz mit dem Embryonentransfer. Es kann weder
die 280-Tages-Regel zur Anwendung gelangen, noch entscheidet der Zeitpunkt
der Nidation.
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a)
Die In-vitro-Fertilisation ist eine Methode der künstlichen Befruchtung,
bei der entnommene Eizellen mit präparierten Spermien befruchtet und die
Embryos anschließend in den Uterus der Frau transferiert werden
. Der Vorgang läuft in
mehreren Schritten ab, darunter die hormonelle Stimulation der Eierstöcke mit
dem Ziel, mehrere Eizellen gleichzeitig zur Reifung zu bringen, die Follikelpunk-
tion, die Entnahme der Eizellen, die Befruchtung einer oder mehrerer Eizellen
mit aufbereiteten Spermien, die Einsetzung der befruchteten Eizelle oder Eizel-
len in die Gebärmutter und die Einnistung
.
b)
Aus Gründen der Rechtssicherheit kann eine Schwangerschaft bei
Durchführung einer In-vitro-Fertilisation frühestens im Zeitpunkt des Embryo-
nentransfers und nicht bereits mit Befruchtung der Eizelle außerhalb des Kör-
pers der Frau beginnen
.
Da das „Einfrieren“ befruchteter Eizellen (sog. Kryokonser-
vierung) durch das Gesetz zum Schutz von Embryonen
zeitlich nicht begrenzt wird
,
könnte sich eine Arbeitnehmerin andernfalls unter Umständen mehrere Jahre
auf den besonderen Kündigungsschutz gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG beru-
fen
.
c)
Da eine Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation keinesfalls
vor dem Embryonentransfer beginnen kann, verbietet sich eine Rückrechnung
um 280 Tage vom mutmaßlichen Geburtstermin. Damit würden - weil der erste
Tag der letzten Menstruation notwendig früher liegen muss - auch Zeiten vor
dem Transfer einbezogen, ohne dass es nötig wäre, auf diese Weise der Ge-
fahr vorzubeugen, eine tatsächlich schon schwangere Frau vom besonderen
Kündigungsschutz auszuschließen.
d)
Richtigerweise beginnt eine Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-
Fertilisation auch nicht später als mit dem Embryonentransfer
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. Sie beginnt nicht erst mit der Ni-
dation
.
aa)
Der Mutterschutz genießt einen hohen Rang. Mit ihm verwirklicht der
nationale Gesetzgeber seinen Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 4 GG
. Zugleich kommt er den Verpflichtungen aus der Richtlinie 92/85/EWG des
Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Ver-
besserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Ar-
beitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeits-
platz (MutterschutzRL) nach. Zweck des Mutterschutzes ist es, die im Arbeits-
verhältnis stehende Mutter vor arbeitsplatzbedingten Gefahren, Überforderun-
gen und Gesundheitsschädigungen zu bewahren. Das Kündigungsverbot in § 9
Abs. 1 Satz 1 MuSchG soll die schwangere Arbeitnehmerin vor der Gefahr
schützen, die die Möglichkeit einer Entlassung für ihre psychische und physi-
sche Verfassung darstellt
. Um die Sicher-
heit und den Schutz jeder schwangeren Arbeitnehmerin zu gewährleisten, ist
nach den unionsrechtlichen Vorgaben von dem frühestmöglichen Zeitpunkt des
Vorliegens einer Schwangerschaft auszugehen
. Das
ist der Zeitpunkt der Verbindung einer befruchteten Eizelle mit dem Organismus
der werdenden Mutter durch den Embryonentransfer. Spätestens damit ist ein
Zustand erreicht, der demjenigen nach der natürlichen Befruchtung entspricht.
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Auch bei der natürlichen Empfängnis beginnt die Schwangerschaft mit der Kon-
zeption, nicht erst mit der Nidation.
bb)
Das Abstellen auf den Embryonentransfer bedeutet zudem Rechtssi-
cherheit. Der Zeitpunkt des Transfers lässt sich problemlos feststellen. Für den
Zeitpunkt der Nidation gilt dies nicht. Bei der Nidation handelt es sich um einen
Prozess, der mit Anheftung der Blastozyste (bzw. des Embryos)
am fünften und
sechsten Entwicklungstag beginnt und am elften bis zwölften Tag abgeschlos-
sen wird
.
Wann ge-
nau dieser Prozess bei der betreffenden Frau beginnt und endet, wird in der
Regel nicht festgestellt. Damit ist der frühestmögliche Termin der Nidation nur
schwer zu bestimmen. Es verbliebe eine erhebliche Unsicherheit über den Be-
ginn des Kündigungsschutzes.
cc)
Das Abstellen auf den Embryonentransfer steht nicht in Widerspruch zu
§ 218 Abs. 1 Satz 2 StGB. Zwar kann danach ein - strafbewehrter - Schwan-
gerschaftsabbruch erst vorliegen, wenn die Einnistung des befruchteten Eis in
der Gebärmutter abgeschlossen ist. Schutzobjekt des § 218 StGB ist jedoch
nicht (auch) die werdende Mutter, sondern ausschließlich die Leibesfrucht. Der
strafrechtliche Schutz setzt deshalb erst nach dem biologisch-medizinischen
Beginn einer Schwangerschaft ein
. Er stellt auf den Zeitpunkt der Nidation ab, weil vorher kaum zwi-
schen einem Abbruch und einem ungewollten Frühstabgang der Leibesfrucht
unterschieden werden kann
.
Die andere Zielrichtung des
§ 218 Abs. 1 Satz 2 StGB als die des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG rechtfertigt es,
für den Beginn des jeweiligen Schutzes unterschiedliche Zeitpunkte festzule-
gen. So liegt es im Übrigen nicht nur bei der Schwangerschaft aufgrund einer
In-vitro-Fertilisation, sondern auch bei der natürlichen Schwangerschaft.
dd)
Der Hinweis des Beklagten auf geringe Erfolgsaussichten von In-vitro-
Fertilisationen spielt für den Streitfall keine Rolle. Die Klägerin hat zwischenzeit-
lich ein Kind entbunden. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob durch den
Embryonentransfer der Beginn des besonderen Kündigungsschutzes lediglich
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für den Fall bestimmt wird, dass es in der Folge zu einer Nidation kommt, oder
ob der besondere Kündigungsschutz mit der Einsetzung einer befruchteten Ei-
zelle in die Gebärmutter
„unbedingt“, also in jedem Fall, einsetzt und - ohne
Nachwirkung - wieder endet, wenn eine Einnistung ausbleibt. Die letztgenannte
Sichtweise könnte durch Art. 10 Nr. 1 MutterschutzRL geboten sein, entspricht
der Rechtslage bei natürlicher Schwangerschaft (bei der die nicht zur Nidation
führende Konzeption freilich oft unbemerkt bleiben wird) und verwirklicht den
Grundsatz, dass die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts zum Zeitpunkt seiner
Vornahme feststehen soll
. Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht uneingeschränkt. In § 9
Abs. 1 Satz 1 MuSchG
wird er
durchbrochen, indem eine ohne Kenntnis von der Schwangerschaft erklärte
Kündigung unwirksam
, wenn die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber fristge-
recht entsprechende Mitteilung macht. Insofern wird dem Arbeitgeber ohnehin
ein mindestens zweiwöchiger - bei fehlendem Verschulden der Arbeitnehmerin
sogar längerer -
„Schwebezustand“ zugemutet. Solches ist dem Arbeits- und
allgemeinen Zivilrecht auch in anderen Zusammenhängen nicht fremd
.
4.
Danach war die Klägerin bei Zugang der Kündigung schwanger. Das
Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass der Embryonentransfer am
24. Januar 2013 erfolgt ist. Diese Feststellung bindet den Senat. Gegen sie ist
ein zulässiger und begründeter Revisionsangriff nicht geführt worden
.
a)
Der Zeitpunkt des Embryonentransfers ist Gegenstand tatrichterlicher
Würdigung iSd. § 286 Abs. 1 ZPO. Eine solche ist revisionsrechtlich nur darauf-
hin überprüfbar, ob das Berufungsgericht den gesamten Inhalt der Verhandlung
berücksichtigt und alle erhobenen Beweise gewürdigt hat, ob eine Beweiswür-
digung in sich widerspruchsfrei, ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie all-
gemeinen Erfahrungssätzen erfolgt und ob sie rechtlich möglich ist
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.
b)
Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die
Arbeitnehmerin ihrer Darlegungslast für das Bestehen einer Schwangerschaft
im Kündigungszeitpunkt zunächst durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung
genügt
,
und die Klägerin mit ihrem Mutterpass und dem Schreiben vom 16. Mai
2013 zwei Bescheinigungen vorgelegt hat, die als Tag des Embryonentransfers
den 24. Januar 2013 ausweisen. Der Beklagte geht selbst davon aus, dass die
Klägerin an diesem Tag aufgrund einer „Operation“ ausgefallen sei.
c)
Die von der Revision gerügten Widersprüche in den ärztlichen Beschei-
nigungen bestehen nicht. Zwar wurde laut Mutterpass am 27. Februar 2013
eine Schwangerschaft in der siebten/achten Woche festgestellt. Diese Angabe
beruhte jedoch ersichtlich auf einer Berechnung anhand der letzten Menstruati-
on, die im Mutterpass mit Datum vom 8. Januar 2013 angegeben ist. Dem ent-
spricht die Feststellung einer Frühschwangerschaft in der fünften Woche in der
ärztlichen Bescheinigung vom 11. Februar 2013.
B.
Die Kündigung verstieß außerdem gegen § 7 Abs. 1 iVm. §§ 1, 3 AGG.
Sie diskriminierte die Klägerin wegen ihres Geschlechts.
I.
Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kün-
digungsschutzgesetz - noch - keine Anwendung findet, aus einem der in § 1
AGG genannten Gründe diskriminiert, ist gemäß § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1
AGG unwirksam. Zwar regelt das AGG nicht selbst, welche Rechtsfolge eine
nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG unzulässige Benachteiligung hat. Jedoch ergibt sich
die Rechtsfolge aus § 134 BGB. Seit Inkrafttreten des AGG sind deshalb dis-
kriminierende Kündigungen nicht mehr am Maßstab des § 242 BGB zu messen.
§ 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen
.
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II.
Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, der Beklag-
te habe die Klägerin durch die Kündigung wegen ihres Geschlechts diskrimi-
niert.
1.
Gemäß § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines
der in § 1 AGG genannten Merkmale benachteiligt werden. Eine unmittelbare
Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG liegt vor, wenn eine Person wegen eines
der verpönten Merkmale eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine an-
dere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren
würde.
2.
Die Kündigung als solche knüpft als gestaltende Willenserklärung nicht
an die Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG an. Erst die dem Kündigungs-
entschluss zugrunde liegenden Erwägungen können Anhaltspunkt für einen
Zusammenhang zwischen der Kündigungserklärung und einem Merkmal nach
§ 1 AGG sein. Dieser kann sich aus der Kündigungsbegründung oder anderen
Umständen ergeben. Dabei bedarf es keiner subjektiven Komponente im Sinne
einer Benachteiligungsabsicht. Es genügt, dass eine Anknüpfung der Kündi-
gung an ein Diskriminierungsmerkmal zumindest in Betracht kommt
.
3.
Die Kündigung wegen einer Schwangerschaft der Arbeitnehmerin oder
aus einem im Wesentlichen auf der Schwangerschaft beruhenden Grund
kommt nur bei Frauen in Betracht. Sie stellt eine unmittelbare Diskriminierung
aufgrund des Geschlechts dar
. Da die Maßnahmen zur Vorbe-
reitung und Durchführung einer In-vitro-Fertilisation ausschließlich Frauen be-
treffen, führt die Kündigung einer Arbeitnehmerin, die hauptsächlich aus dem
Grund erfolgt, dass sie beabsichtigt, sich dieser Behandlung zu unterziehen,
ebenfalls zu einer unmittelbaren Geschlechtsdiskriminierung
.
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4.
Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass maß-
geblicher Grund für die Kündigung die - geplante - Durchführung einer In-vitro-
Fertilisation und die damit verbundene Möglichkeit einer Schwangerschaft wa-
ren.
a)
Die zugunsten der Klägerin eingreifende Beweislastregel des § 22 AGG
für eine Benachteiligung wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale
wirkt sich auf die Verteilung der Darlegungslast aus. Es genügt, dass die Be-
schäftigte Indizien vorträgt und gegebenenfalls beweist, die ihre Benachteili-
gung wegen eines verpönten Merkmals vermuten lassen. Hierzu ist nicht erfor-
derlich, dass die Tatsachen einen zwingenden Schluss auf eine Verknüpfung
der Benachteiligung mit einem Diskriminierungsmerkmal erlauben. Vielmehr
reicht es, wenn dafür nach allgemeiner Lebenserfahrung eine überwiegende
Wahrscheinlichkeit besteht. Ist dies der Fall, trägt der Arbeitgeber die Beweis-
last dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Be-
nachteiligung vorgelegen hat
.
b)
Die Würdigung, ob die Arbeitnehmerin Tatsachen vorgetragen hat, die
ihre Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals vermuten lassen, obliegt
den Tatsachengerichten. Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO haben sie unter Berück-
sichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer
etwaigen Beweisaufnahme nach ihrer freien Überzeugung zu entscheiden, ob
sie eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr erachten. Diese
Grundsätze gelten auch, wenn nicht darüber zu entscheiden ist, ob eine Be-
hauptung „wahr“ ist, sondern darüber, ob vorgetragene und gegebenenfalls be-
wiesene Tatsachen eine Behauptung der Arbeitnehmerin
als „wahr“ vermuten
lassen
.
c)
Die gewonnene Überzeugung von einer überwiegenden Wahrschein-
lichkeit für die Kausalität zwischen dem verpönten Merkmal - hier dem Ge-
schlecht der Klägerin - und einem Nachteil kann vom Revisionsgericht nur da-
rauf überprüft werden, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht
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gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt
.
d)
Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Annahme des Lan-
desarbeitsgerichts, maßgeblicher Grund für den Ausspruch der Kündigung sei-
en die - beabsichtigte - Durchführung einer In-vitro-Fertilisation und die damit
einhergehende Möglichkeit einer Schwangerschaft der Klägerin gewesen, alle-
mal stand.
aa)
Das Landesarbeitsgericht hat, wenn auch ohne Bezug auf § 22 AGG,
hinreichende Indizien für seine Annahme darin gesehen, dass der Beklagte, der
sich bis dahin regelmäßig positiv über ihre Arbeitsleistung geäußert hatte, das
Arbeitsverhältnis der Klägerin kurze Zeit nach ihrer Mitteilung vom 14. oder
15.
Januar 2013 von einer erneut „anstehenden“ künstlichen Befruchtung
- nämlich am 31. Januar 2013 - gekündigt und
ihre Stelle mit einer „älteren“ Ar-
beitnehmerin besetzt hat. Ferner hat es gemeint, der Beklagte habe die aus
diesen Umständen resultierende Vermutung nicht durch substantiierten Sach-
vortrag entkräftet.
bb)
Diese Würdigung ist in sich widerspruchsfrei und verstößt nicht gegen
Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze. Insbesondere der zeitliche Zu-
sammenhang trägt den Schluss, die Kündigung sei aufgrund der Ankündigung
der Klägerin erfolgt
. Soweit der Beklagte die unstreitigen Tatsa-
chen - die Mitteilung der Klägerin und das Fehlen von Verwarnungen und Ab-
mahnungen - anders beurteilt sehen will, setzt er lediglich seine eigene Würdi-
gung an die Stelle derer des Landesarbeitsgerichts. Rechtsfehler zeigt er damit
nicht auf.
cc)
Die vom Beklagten erstmals in der Revisionsinstanz vorgebrachten
Tatsachen können gemäß § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO keine Berücksichtigung
mehr finden. Verfahrensrügen iSv. § 559 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 551 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO hat er nicht erhoben.
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C.
Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen
Revision zu tragen.
Kreft
Rachor
Niemann
Söller
B. Schipp
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